Antidementiva – Aktueller Stand der Therapieforschung bei der Alzheimer-Demenz

Die Alzheimer-Demenz (AD) ist eine langsam progrediente neurode¬generative Erkrankung mit kognitiven Störungen als Leitsymptom. Neuropathologisch ist sie charakterisiert durch das Vorhandensein von Tauprotein-haltigen Neurofibrillen und die extrazelluläre Akkumulation von -Amyloidprotein (A1-42) in Hirnparenchym und zerebralen Blutge¬fäßen, welche über verschiedene Mechanismen (z. B. Neuroinflammation, oxidativer Stress u. a.) die Neuro-degeneration induzieren. A-Aggregate entstehen in zunehmender Komplexität zunächst als Oligomere, sodann als Fibrillen und später Plaques und resul¬tieren aus einer fehlerhaften Spaltung des in Gehirnzellen verbreiteten membran¬ständigen Amyloid-Precursor-Proteins (APP).
Die AD stellt die häufigste Demenzform im Alter dar und betrifft in westlichen Ländern fast 10 % der Menschen jenseits des 65. Lebensjahrs. Trotz zunehmender medizinischer und sozioökonomischer Bedeutung und trotz intensiver Forschung in den letzten Jahrzehnten sind die bisherigen therapeutischen Möglichkeiten immer noch begrenzt. Kurative oder auch nur krankheitsmodifizierende Therapien stehen bisher nicht zur Verfügung. Einzige bisher zugelassene Arzneistoffe sind die drei Acetylcholinesterase¬hemmer Donepezil, Galantamin und Rivastigmin sowie der NMDA-Antagonist Memantin, die allesamt lediglich einen symptomatischen und im günstigen Fall verlaufsmodifizierenden Effekt aufweisen (Weblink 1). Memantin war die bisher letzte Innovation mit Zulassung für die Behandlung der mittel-schweren bis schweren AD im Jahr 2003. Seitdem richten sich umfassende globale Forschungs¬anstrengungen v. a. auf die Entwicklung von krankheits¬modifizierenden Wirk-stoffen, die unmittelbar in die mittlerweile gut verstandene Patho¬physiologie der Erkrankung eingreifen sollen. Zwischen 2002 und 2012 wurden laut US-amerikanischem Studienregister „Clinicaltrials.gov“ 124 Phase 1, 206 Phase 2 und 83 Phase 3 Studien durchgeführt (Cummings et al. 2014). Von den 244 untersuchten Arzneistoffen wurden 221 auf ihre krankheitsmodifizierende Aktivität geprüft, aber keine dieser Substanzen war Placebo überlegen. Nur eine der insgesamt 413 Studien führte zu der Marktzulassung von Memantin (Reisberg et al. 2003).

Aktuell ist allerdings auch eine Vielzahl von Therapeutika weiterhin in der klinischen Erpro-bung, von denen die aussichtsreichsten derzeit in den Prüfphasen II und III befindlichen hier zusammengestellt sind (Quellen: Weblinks 2 – 4 und angegebene Literatur). Derzeitige Strategien (Stand: Juli 2018) beinhalten gemäß der Pathophysiologie der AD folgende vier Prinzipien: (1) Amyloid-Protein-basierte Therapie¬ansätze, (2) Tau-Protein-basierte Therapie-ansätze, (3) Verminderung der glutamatergen Exzitotoxizität, (4) Verminderung der Neuro-inflammation.

1. Amyloid-Protein-basierte Therapieansätze

Die extrazelluläre Bildung von -Amyloid-Aggregaten aus dem unlöslichen A(1-42) nach sequenzieller Hydrolyse durch die Enzyme - und γ-Sekretase steht im Zentrum der sog. Amyloidhypothese der Pathophysiologie der AD. Seit über 15 Jahren wird entsprechend einerseits an Immuntherapien gegen A1-42 und dessen toxischer Aggregate und ande-rerseits an Hemmstoffen der Sekretasen geforscht. Die klinischen Studien konzentrieren sich zumeist auf präklinische Stadien und leichte Ausprägungen der AD.

Aktive Immunisierung: Mit CAD106 befindet sich derzeit ein Impfstoff zur aktiven Immunisierung gegen A(1-42) in Phase II/III der klinischen Prüfung. Die Substanz stimuliert die Bildung von Antikörpern (AK) gegen ein kleines Peptidfragment A(1-6), das bei Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung (MCI) und leichter AD ein vorteilhaftes Sicherheitsprofil aufweisen konnte (Winblad et al. 2012). Weitere Impfstoffe, die derzeit noch in der Phase II geprüft werden, sind ABvac 40, Affitope AD02 und UB 311.

Monoklonale Antikörper: Die Strategie einer Verminderung der Akkumulation von Amyloid-Plaques durch spezifische gegen Aβ(1-42) gerichtete Antikörper ist bislang am weitesten fortgeschritten. Nach mehreren Fehlschlägen mit unzureichender Wirksamkeit (zuletzt Solanezumab) befinden sich derzeit folgende monoklonale AK in der klinischen Entwicklung (Qian et al. 2015, Sevigny et al. 2016): Aducanumab als AK gegen Aβ-Aggregate (nicht Monomere) (Phase III); BAN2401 als AK gegen lösliche Protofibrillen (Phase II); Crenezumab als AK gegen monomeres, oligomeres und fibrilläres Aβ (Phase III); Gantenerumab als AK gegen oligomeres und fibrilläres Aβ (Phase III); LY3002813 als AK gegen Aβ(p3-42), eine Pyroglutamat-Form von Aβ (Phase II).

Sekretase-Inhibitoren: Die Entwicklung der ersten geprüften Hemmstoffe der β-Sekretase (BACE) wurde wegen ungeeigneter Pharmakokinetik oder (Leber-)Toxizität eingestellt, jedoch befinden sich jetzt neue, potenziell sicherere Substanzen in der klinischen Prüfung (Hung & Fu 2017) wie Elenbecestat (Phase III), CNP520, JNJ-54861911 und Verubecestat (Phase II/III) sowie LY3202626 (Phase II) in der klinischen Prüfung, desgleichen der γ-Sekretase-Inhibitor NIC5-15 (Phase II) als natürlich vorkommender zyklischer Zuckeralkohol (Pinitol).

2. Tau-Protein-basierte Therapieansätze

Neben der extrazellulären Bildung von -Amyloid-Aggregaten ist in der Pathophysiologie die Tauopathie von Bedeutung, also die intrazelluläre Aggregation von hyper-phosphoryliertem Tau-Protein unter Bildung von sog. „Tangles“ (Neurofibrillen), die ebenfalls zur Neuro-degeneration bzw. zum neuronalen Zelltod führt.

Aktive Immunisierung: Analog zur aktiven Immunisierung gegenüber Aβ(1-42) werden auch Impfstoffe gegen hyper-phosphoryliertes Tau-Protein entwickelt, jedoch ist die Entwicklung hier noch weniger weit fortgeschritten. Es befindet sich derzeit mit AADvac-1 lediglich eine Substanz in Phase II der klinischen Prüfung in der Behandlung von Patietnen mit leichter AD. Es handelt sich um ein synthetisches, verkürztes, missgefaltetes Tau-Protein als Antigen.

Monoklonale Antikörper: Mit C2N 8E12 und RO 7105705 befinden sich auch zwei gegen Tau-Protein gerichtete AK jeweils in Phase II der klinischen Prüfung; diese AK binden extra-zelluläres Tau.
Hemmung der Tau-Aggregation: Der derzeit einzige Wirkstoff mit diesem Wirkprinzip in einer fortgeschrittenen Prüfphase ist TRx0237 (LMTXTM) (Phase III), ein gereinigtes Methylen¬blau, mit allerdings ersten negativen Ergebnissen.

3. Verminderung der glutamatergen Exzitotoxizität

Als gängiger neuronaler Schädigungsmechanismus mit zumindest beitragender Rolle bei einer Vielzahl neurodegenerativer Erkrankungen, u. a. der AD, gilt eine überschießende NMDA-Rezeptor-Aktivierung mit der Folge übermäßiger Depolarisation und intrazellulärer Kalzium¬überladung (»Exzitotoxizität«). Diesem Pathomechanismus wird durch das bereits zuge¬lassene Memantin als NMDA-Rezeptoragonist entgegengewirkt.
Daneben wird derzeit der Natriumkanalblocker Riluzol mit NMDA-antagonistischer Wirkkomponente in einer Phase II Studie auf seine Wirksamkeit bei Patienten mit leichter AD und gleichzeitiger Therapie mit Donepezil geprüft. Der Arzneistoff ist bereits seit langem in Deutschland zur Therapie der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) zugelassen. Der Wirkungsmechanismus von Riluzol ist komplex und schließt ebenfalls eine Hemmung der Ausschüttung von Glutamat sowie eine Aktivierung der neuronalen Wiederaufnahme von Glutamat ein (Hunsberger et al. 2015).

4. Verminderung der Neuroinflammation

Nicht nur bei der AD, sondern auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie der Parkinson-Krankheit oder der ALS, kommt es zu einer chronischen Aktivierung der Mikroglia (Gewebs-Makrophagen) als Folge der Akkumulation der genannten Protein-Aggregate. Diese tragen unter physiologischen Bedingungen über Antigenpräsentation und Ausschüttung von Zytokinen zur Immunstimulation bei und können dann durch Phagozytose Abfallstoffe oder Zellreste entfernen. Bei einer solchen chronischen Aktivierung schütten Mikrogliazellen vorwiegend pro-inflammatorische Mediatoren aus, die die Neurodegeneration mit induzieren (Sarlus & Heneka 2017). Mikroglia verfügen über eine große Anzahl von Rezeptoren, die nach Bindung der entsprechenden Liganden ihre Aktivierung bewirken. Zu diesen Rezeptoren zählt auch der Rezeptor für die „Advanced Glycation Endproducts (AGEs)“ (RAGE), die durch eine nicht enzymatische Reaktion zwischen Kohlehydraten und beispielsweise Lipiden oder Proteinen entstehen (Wautier et al. 2017). In einer Phase-III-Studie befindet sich momentan der niedermolekulare RAGE-Inhibitor Azeliragon (REF 26). Der niedermolekulare Arzneistoff CHF 5074 ist sowohl ein Hemmstoff der γ-Sekretase als auch ein Modulator der Mikro¬gliaaktivität (Calzà et al. 2013). und wird derzeit in einer Phase-II-Studie untersucht.

Fazit

Aktuell stehen zur Pharmakotherapie der AD lediglich symptomatisch wirksame Medikamente zur Verfügung (Zielsymptome kognitive Störungen, Alltagskompetenz, Verhaltensstörungen).
Forschungsbemühungen konzentrieren sich derzeit auf die krankheitsmodifizierende Therapie der chronisch progredienten Neurodegeneration; nahezu alle bislang klinisch geprüften Therapieansätze haben sich bei manifester leichter bis mittelschwerer AD allerdings als wirkungslos erwiesen.
Vielversprechende Ansätze, die sich zurzeit weltweit in den klinischen Prüfphasen II bzw. III befinden, umfassen hauptsächlich Amyloid- und (noch weniger weit fortgeschritten) Tau-Protein-basierte Wirkmechanismen, welche die Aggregation dieser bei der AD pathologisch veränderten bzw. fehlprozessierten Proteine verhindern oder auflösen sollen; methodisch handelt es sich hauptsächlich um immunologische Ansätze (passive und aktive Immu¬nisie-rung).
Weitere Entwicklungen zielen auf eine Verminderung der für die Neurodegeneration bedeutsamen glutamatergen Exzitotoxizität sowie der Neuroinflammation ab (Mikroglia-aktivierung).
Da krankheitsmodifizierende Therapieansätze früh im Verlauf (möglichst noch in asympto-matischen Stadien) anzuwenden wären, kommt einer Verbesserung der Frühdiagnostik in Zukunft eine erhebliche Bedeutung zu.

Literatur

Calzà L, Baldassarro VA, Giuliani A, Lorenzini L, Fernandez M, Mangano C, Sivilia S, Alessandri M, Gusciglio M, Torricella R, Giardino L. From the multifactorial nature of Alzheimer`s disease to multitarget therapy: the contribution of the translational approach. Curr Top Med Chem. 2013;13:1843-1852.
Cummings JL, Morstorf T, Zhong K. Alzheimer’s disease drug-development pipeline: few candidates, frequent failures. Alzheimers Res Ther. 2014:37.
Hung SY, Fu WM. Drug candidates in clinical trials for Alzheimer’s disease. J Biomed Sci. 2017;24:47.
Hunsberger HC, Weitzner DS, Rudy CC, Hickman JE, Libell EM, Speer RR, Gerhardt GA, Reed MN. Riluzole rescues glutamate alterations, cognitive deficits, and tau pathology associated with P301L tau expression. J Neurochem. 2015;135:381-394.
Qian X, Hamad B, Dias-Lalcaca G. The Alzheimer disease market. Nat Rev Drug Discov. 2015;14:675-6.
Reisberg B, Doody R, Stöffler A, Schmitt F, Ferris S, Möbius HJ; Memantine Study Group. Memantine in moderate-to-severe Alzheimer’s disease. N Engl J Med. 2003;348:1333-1341.
Sarlus H, Heneka MT. Microglia in Alzheimer’s disease. J Clin Invest. 2017;127:3240-3249.
Sevigny J, Chiao P, Bussière T, Weinreb PH, Williams L, Maier M, Dunstan R, Salloway S, Chen T, Ling Y, O’Gorman J, Qian F, Arastu M, Li M, Chollate S, Brennan MS, Quintero-Monzon O, Scannevin RH, Arnold HM, Engber T, Rhodes K, Ferrero J, Hang Y, Mikulskis A, Grimm J, Hock C, Nitsch RM, Sandrock A. The antibody aducanumab reduces Aβ plaques in Alzheimer’s disease. Nature. 2016;537:50-56.
Wautier MP, Guillausseau PJ, Wautier JL. Activation of the receptor for advanced glycation end products and consequences on health. Diabetes Metab Syndr. 2017;11:305-309.
Winblad B, Andreasen N, Minthon L, Floesser A, Imbert G, Dumortier T, Maguire RP, Blennow K, Lundmark J, Staufenbiel M, Orgogozo JM, Graf A. Safety, tolerability, and antibody response of active Aβ immunotherapy with CAD106 in patients with Alzheimer’s disease: randomised, double-blind, placebo-controlled, first-in-human study. Lancet Neurol. 2012;11:597-604.

Weblinks

1) Webseiten der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AMWF), S3-Leitlinie „Demenzen“ vom 24.01.2016, Zugriff 29.-30.07.2018: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/038-013.html
2) Webseiten U.S. National Library of Medicine Reuters, ClinicalTrials.gov,
Zugriff 29.-30.07.2018: https://www.clinicaltrials.gov/ct2/search
3) Webseiten Alzforum, Zugriff 29.-30.07.2018: https://www.alzforum.org/therapeutics
4) Webseiten der National Library of Medicine, Alzheimer disease, Zugriff 29.-30.07.2018: https://medlineplus.gov/ency/article/000760.htm

Christian Lange-Asschenfeldt, Düsseldorf [Christian.Lange-Asschenfeldt@lvr.de]

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