Lithium ist ein bewährtes Arzneimittel zur Behandlung manisch-depressiver Episoden. Es ist wirksam für die Akut- und Erhaltungstherapie und zur Rückfallprophylaxe. Es besitzt allerdings eine enge therapeutische Breite (Baird-Gunning et al. 2017, Hayes et al. 2016). Daher ist die Überwachung der Arzneistoffkonzentration im Blut, d.h. Therapeutisches Drug Monitoring (TDM), bei einer Behandlung mit Lithium obligat (Hiemke et al. 2018). Die Blutspiegel (die Begriffe „Blutspiegel“, „Plasmakonzentration“ oder „Serumkonzentrationen“ werden synonym gebraucht) von Lithium schwanken intra- und interindividuell erheblich, vor allem bei veränderter Nierenfunktion ist immer mit einer Veränderung der Lithiumkonzentration zu rechnen. Um eine effektive Wirkung bei möglichst guter Verträglichkeit zu erzielen, sollten die Konzentrationen von Lithium zwischen 0,5 und 1,2 mmol/l, möglichst zwischen 0,5 und 0,8mmol/l, liegen. Bei einer Konzentration unter 0,5 mmol/l ist mit keiner therapeutischen Wirkung zu rechnen. Über 1,2 mmol/l ist Lithium potenziell toxisch, 1,5 mmol/l dürfen nicht überschritten werden (Malhi et al. 2016). Bei Alterspatienten wird als maximale Konzentration 0,6 mmol/L empfohlen (Sun et al. 2018).
TDM steigert die Effizienz und Sicherheit von Lithium und ebenso die Adhärenz. Bei den in der Literatur berichteten Lithiumintoxikationen, einige davon mit fatalem Ausgang, war die Blutspiegelkontrolle fast immer unzureichend (Abou Saleh und Coppen 1989). Für eine Behandlung mit Lithium ist es nicht nur wichtig, dass Blutspiegel überhaupt gemessen werden, sondern auch dass die Kontrolle korrekt erfolgt. Es ist ganz wesentlich, dass Blut zum richtigen Zeitpunkt abgenommen wird, da falsch hohe oder falsch niedrige Werte wegen zu früher oder zu später Blutabnahme zu fehlerhaften Dosierungsempfehlungen führen können (Kehoe, 1993; Nederlof et al. 2018; Savage et al. 2017).
Zeitpunkt der Blutentnahme bei TDM von Lithium und Besonderheiten bei retardiertem Lithium
In der Akutphase und der Erhaltungsphase erfolgt die Blutentnahme zur Messung der Blutspiegel von Lithium im Steady-State und zum Zeitpunkt, an dem die niedrigsten Konzentrationen (Talspiegel) vorliegen.
Steady-State ist für Lithium nach 4 bis 7 Tagen eingestellt. Entsprechend erfolgt nach Beginn einer Lithiumbehandlung die erste Messung nach einer Woche und wird wöchentlich wiederholt bis die angestrebte Lithiumkonzentration erreicht ist. Danach sollte der Lithium-Spiegel in den ersten sechs Monaten der Behandlung einmal pro Monat und später alle vier Monate erneut gemessen werden. Wenn später eine Dosisänderung vorgenommen wird, sollte der Lithiumspiegel wiederum nach einer Woche kontrolliert werden, bis er im erwünschten Bereich liegt.
Talspiegel liegen im Steady-State am Ende des längsten Dosierungsintervalls vor, d.h. unmittelbar vor Einnahme der Dosis. Wird ein Medikament morgens (8 Uhr), mittags (12 Uhr) und abends (20 Uhr) eingenommen, dann ist das längste Intervall zwischen der Dosis am Abend und am Morgen (12 Stunden), und der Talspiegel ist morgens um 8 Uhr erreicht. Wird ein Arzneistoff morgens (8 Uhr) und abends (20 Uhr) eingenommen, dann liegt ein Talspiegel um 8 Uhr und 20 Uhr vor.
Wenn retardiertes Lithium einmal täglich am Abend (20 Uhr) eingenommen wird, dann beträgt das längste Dosierungsintervall 24 Stunden und der Talspiegel ist am Abend erreicht. Für die Messung der Lithiumspiegel wird jedoch für retardiertes Lithium empfohlen, Blut exakt 12 Stunden (Bereich 10-14 Stunden) nach der letzten Dosis abzunehmen (Grandjean und Aubry 2009). Dies ist nicht der Zeitpunkt des Talspiegels, sondern die Konzentration nach 12 Stunden. Die Konzentration nach 12 Stunden ist um etwa 20% höher als der Talspiegel. Da die in der Literatur empfohlenen therapeutischen Referenzbereiche für Lithium und andere Psychopharmaka so gut wie immer für Talspiegel gelten (Hiemke et al. 2018), war im letzten Kompendium empfohlen worden, den 12-h-Wert mit dem Faktor 0,8 zu multiplizieren, um den Talspiegel (24 h nach Einnahme) zu errechnen. Die Sichtung der Literatur hat inzwischen ergeben, dass sich sämtliche Studien zu Konzentrations-Wirkungsbeziehungen von Lithium, also auch die von retardiertem Lithiumcarbonat, welches einmal pro Tag am Abend eingenommen wurde, Konzentrationen 12 Stunden nach der letzten Einnahme von Lithium verwendet haben (Granjean und Aubry, 2009, Malhi et al. 2016). Deshalb wurde die Empfehlung einer Extrapolation des Talspiegels in der Neuauflage des Kompendiums wieder gestrichen.
Wenn im Einzelfall bei Behandlung mit retardiertem Lithium der tatsächliche Talspiegel ermittelt werden soll, dann sollte entweder die Blutentnahme am Abend erfolgen oder eine zweimal täglich-Dosierung gewählt werden und Blut morgens abgenommen werden. Dies zu beachten ist vor allem dann bedeutsam, wenn Lithium bei einem Patienten eine kurze Halbwertszeit aufweist.
Literatur
Abou-Saleh MT, Coppen A. The efficacy of low-dose lithium: clinical, psychological and biological correlates. J Psychiatr Res. 1989;23(2):157-62.
Baird-Gunning J, Lea-Henry T, Hoegberg LCG, Gosselin S, Roberts DM. Lithium Poisoning. J Intensive Care Med. 2017 May;32(4):249-263.
Grandjean EM, Aubry JM. Lithium: updated human knowledge using an evidence-based approach. Part II: Clinical pharmacology and therapeutic monitoring. CNS Drugs. 2009;23(4):331-49.
Hayes JF, Marston L, Walters K, Geddes JR, King M, Osborn DP. Adverse renal, endocrine, Hepatic, and Metabolic Events during Maintenance Mood Stabilizer Treatment for Bipolar Disorder: A Population-Based Cohort Study. PLoS Med. 2016 Aug 2;13(8):e1002058.
Hiemke C, Bergemann N, Clement HW, Conca A, Deckert J, Domschke K, Eckermann G, Egberts K, Gerlach M, Greiner C, Gründer G, Haen E, Havemann-Reinecke U, Hefner G, Helmer R, Janssen G, Jaquenoud E, Laux G, Messer T, Mössner R, Müller MJ, Paulzen M, Pfuhlmann B, Riederer P, Saria A, Schoppek B, Schoretsanitis G, Schwarz M, Gracia MS, Stegmann B, Steimer W, Stingl JC, Uhr M, Ulrich S, Unterecker S, Waschgler R, Zernig G, Zurek G, Baumann P. Consensus Guidelines for Therapeutic Drug Monitoring in Neuropsychopharmacology: Update 2017. Pharmacopsychiatry. 2018 Jan;51(1-02):9-62. Erratum in: Pharmacopsychiatry. 2018 Jan;51(1-02):e1.
Kehoe RF, Mander AJ. Lithium treatment: prescribing and monitoring habits in hospital and general practice. BMJ. 1992 Feb 29;304(6826):552-554.
Kehoe RF. Monitoring lithium treatment. BMJ. 1993 Jan 23;306(6872):269-70.
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Nederlof M, Heerdink ER, Egberts ACG, Wilting I, Stoker LJ, Hoekstra R, Kupka RW. Monitoring of patients treated with lithium for bipolar disorder: an international survey. Int J Bipolar Disord. 2018 Apr 14;6(1):12.
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Sun M, Herrmann N, Shulman KI. Lithium Toxicity in Older Adults: a Systematic Review of Case Reports. Clin Drug Investig. 2018 Mar;38(3):201-209.
Christoph Hiemke, Mainz [hiemke@uni-mainz.de]