Lithium und Valproat, nicht aber Carbamazepin, haben inhibitorische Effekte auf die Glykogen-Synthase-Kinase-3-β (GSK3-β), deren Überexpression zu einer vermehrten Apoptose führt. Hinweise, wonach Lithium durch eine Inhibition von GSK3- β in Zusammenhang mit der Entwicklung demenzieller Syndrome (GSK3- β scheint in der Pathogenese der Demenz eine Rolle zu spielen) in Verbindung steht, zeigten sich nicht. Vielmehr waren mit Lithium behandelte bipolare Patienten signifikant seltener dement (Gerhard et al 2015). Jedoch lässt die durch Lithium verursachte Inhibition von GSK3- β als einem Enzym, das in die Pathogenese verschiedener Krebsarten involviert ist, die Frage aufkommen, ob eine Assoziation zwischen einer Lithiumtherapie und Krebserkrankungen, vor allem Tumoren ableitender Harnwege besteht.
Die Diskussion hierüber war im Jahr 2014 entfacht worden, nachdem eine kleine Fallkontrollstudie eine Assoziation zwischen einer langjährigen Behandlung mit Lithium und der Entstehung von Nierenzysten sowie der Entwicklung einer interstitiellen Nephritis und in der Folge einer erhöhten Inzidenz von Nierentumoren berichtete (Zaidan et al. 2014). In der Folge wurden hierzu in jüngster Zeit einige Übersichtsarbeiten publiziert, über die wir kurz berichten:
Zunächst untersuchten Kessing et al. im Jahr 2015 in einer dänischen Kohortenstudie 24.272 Patienten mit Lithium, 386.255 Patienten, die eine Behandlung mit Antikonvulsiva erhielten mit einer Vergleichsgruppe von zufällig ausgewählten 1,5 Mio. Patienten in einem Untersuchungszeitraum zwischen 1999 und 2012 (Kessing et al. 2015). Insgesamt war bei 9.651 Patienten eine bipolare Störung diagnostiziert worden. Hierbei zeigte sich, dass weder eine Behandlung mit Lithium noch eine Behandlung mit verschiedenen Antikonvulsiva mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten von Tumoren der ableitenden Harnwege assoziiert war.
Huang et al. untersuchten in einer populationsbasierten Kohortenstudie die Häufig-keit des Auftretens von Krebserkrankungen und verglichen in ihrer taiwanesischen Studie Patienten mit einer Antikonvulsivatherapie und Patienten mit einer Lithiumtherapie (Huang et al 2016). Die Auswertung eines nationalen Krankenkassenregisters (National Health Insurance Research Database, NHIRD) zeigte für diejenigen Patienten, die eine Lithiumtherapie erhielten, signifikant niedrigere Raten an Krebserkrankungen als für denjenigen Patienten, die eine Behandlung mit einem Antikonvulsivum erhielten.
Aus der ursprünglichen Kohorte von 17.792 Patienten mit bipolarer Störung (Diagnose nach ICD-9) in einem Untersuchungszeitraum zwischen 1998 und 2009 wurden diejenigen Patienten analysiert, die entweder Lithium oder ein Antikonvulsivum erhielten. Dadurch reduzierte sich die Gruppe auf 6.757 Patienten, die in drei Gruppen aufgeteilt wurden. 1. Patienten mit Antikonvulsiva, 2. Patienten mit Lithium und 3. Patienten, die Lithium und ein Antikonvulsivum erhielten. Letztlich erfolgte die Analyse von 4.729 Patienten, wovon 3.250 (68,7%) ein Antikonvulsivum erhielten, 370 (7,8%) Lithium und 1.109 (23,5%) Patienten, die im Laufe des Erhebungszeitraums ein Antikonvulsivum und Lithium erhielten.
Es zeigte sich, dass Patienten in der Lithiumgruppe ein um 26,5% niedrigeres (ha-zard ratio, HR = 0.735, 95% Konfidenzintervall, CI, 0.554–0.974) Risiko für die Ent-stehung einer Krebserkrankung hatten. Zudem bestand eine positive Assoziation zwischen der Höhe der Lithiumdosis und der Reduktion des Krebsentstehungsrisi-kos.
Eine rezente epidemiologische Untersuchung wiederum aus Dänemark untersuchte eine mögliche Verbindung zwischen einer Lithiumbehandlung und der Auftretenshäufigkeit von Tumoren ableitender Harnwege (Pottegårt et al. 2016). Untersucht wurde hierbei die Assoziation zwischen einer mehr als fünf Jahre andauernden Lithiumbehandlung und histologisch gesicherten Tumoren der Niere, des Nierenbeckens sowie der Harnleiter. Insgesamt zeigte sich ein nichtsignifikanter Unterschied zwischen Lithium-behandelten Patienten und unbehandelten Kontrollen mit einer Odds Ratio (OR) von 1.3 (95% Konfidenzintervall 0.8–2.2). Es zeigte sich damit keine Erhöhung der Auftretenswahrscheinlichkeit entsprechender Tumoren ableitender Harnwege und längerdauernder Lithiumtherapie.
Fazit
Hinweise darauf, dass die Einnahme von Lithium mit einer erhöhten Auftretenswahrscheinlichkeit von Tumoren jedweder Art, vor allem aber von Tumoren der ableitenden Harnwege verbunden zu sein scheint, bestätigen sich nicht. Wie in der aktuellen 11. Auflage des Kompendiums ausgeführt, scheinen wesentliche langfristige unerwünschte Wirkungen einer Lithiumbehandlung eine reduzierte Urin-Konzentrationsfähigkeit, Hypothyreose, Hyperparathyreoidismus sowie Gewichtszunahme zu sein. Das Risiko eines terminalen Nierenversagens unter einer Lithium-Therapie kann insgesamt als niedrig angesehen werden, insbesondere höhere Serumkonzentrationen können jedoch langfristig mit einer verschlechterten Nierenfunktion sowie einer Hypothyreose und Hyperkalzämie verbunden sind (Shine et al. 2015).
Literatur
Gerhard T, Devanand DP, Huang C, Crystal S, Olfson M (2015) Lithium treatment and risk for demen-tia in adults with bipolar disorder: population-based cohort study. Br J Psychiatry. Jul;207(1):46-51. doi: 10.1192/bjp.bp.114.154047
Huang RY, Hsieh KP, Huang WW, Yang YH (2016) Use of lithium and cancer risk in patients with bipolar disorder: population-based cohort study. Br J Psychiatry. Nov;209(5):393-399.
Kessing LV, Gerds TA, Feldt-Rasmussen B, Andersen PK, Licht RW (2015) Lithium and renal and upper urinary tract tumors – results from a nationwide population-based study. Bipolar Disord. Dec;17(8):805-13. doi: 10.1111/bdi.12344
Pottegård A, Hallas J, Jensen BL, Madsen K, Friis S (2016) Long-Term Lithium Use and Risk of Renal and Upper Urinary Tract Cancers. J Am Soc Nephrol. Jan;27(1):249-55. doi: 10.1681/ASN.2015010061
Shine B, McKnight RF, Leaver L, Geddes JR (2015) Long-term effects of lithium on renal, thyroid, and parathyroid function: a retrospective analysis of laboratory data. Lancet. Aug 1;386(9992):461-8. doi: 10.1016/S0140-6736(14)61842-0.
Zaidan M, Stucker F2, Stengel B, Vasiliu V, Hummel A, Landais P, Boffa JJ, Ronco P, Grünfeld JP, Servais A (2014) Increased risk of solid renal tumors in lithium-treated patients. Kidney Int. Jul;86(1):184-90. doi: 10.1038/ki.2014.2.
Michael Paulzen, Aachen, [mpaulzen@ukaachen.de]