Nachdem 2011 das Methylphenidat-Präparat Medikinet adult® (s. Kompendium-News vom 29.06.2011) für Erwachsene (bis 60 Jahre), die an ADHS leiden, zugelassen worden ist, ist nun seit Juli 2014 auch Ritalin LA® (für die Verschreibung bei Erwachsenen: Ritalin adult®) im Rahmen einer therapeutischen Gesamtstrategie zur Behandlung von ADHS bei Erwachsenen indiziert. Es ist ein langwirksames Methylphenidatpräparat, welches ebenfalls 50 % der Dosis initial und 50 % verzögert freisetzt. Weiterhin ist noch Atomoxetin (Strattera®) zur Behandlung eines adulten ADHS zugelassen.
Die Entscheidung des BfArM beruht auf Daten aus einer drei-phasigen Studie (Huss M et al, Adv Ther 2014; 31: 44). Die erste Phase bestand aus einer neun-wöchigen randomisierten, doppelblinden und Placebo-kontrollierten Einstellung auf 40, 60 oder 80 mg Ritalin LA (Primäre Untersuchungsparameter: DSM-IV ADHD RS und Sheehan Disability Scale (SDS)). Darauf folgte eine fünf-wöchige Verum-Dosisoptimierungsphase, worauf sich dann eine sechs-monatige randomisierte, doppelblinde, Plabceo-kontrollierte Erhaltungsstudie (Primärer Untersuchungsparameter: Prozentzahl der Therapieversagen) anschloss. Von den ursprünglich 863 gescreenten Patienten zwischen 18 und 60 Jahren nahmen 725 Patienten an der ersten Phase der Studie teil, wobei 584 Patienten diese Phase beendeten. Eine signifikante Verbesserung nach neun-wöchiger Therapie im Vergleich zu Placebo konnte sowohl im DSM-IV ADHD RS als auch im SDS für alle Verumdosen nachgewiesen werden. 489 Patienten nahmen dann weiter an der dritten Phase teil, die von 235 Patienten beendet wurde. Die Anzahl der Therapieversager lag dabei in der Gruppe, die mit Ritalin adult behandelt wurde, signifikant niedriger (21.3%) im Vergleich zu der Gruppe, die mit Placebo behandelt wurde (49.6%). Das Nebenwirkungsprofil bei den Erwachsenen ähnelt dem, welches von den Verordnungen bei Kindern und Jugendlichen bekannt ist. Die Rate an schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen lag für Ritalin adult bei 1,3 % und für Placebo bei 1,5 %. Die Anzahl der unerwünschten Ereignisse war in der Ritalin adult Gruppe höher. Die häufigsten unerwünschten Ereignisse in der ersten und zweiten Studienphase waren Appetitminderung, Kopfschmerzen und trockener Mund. Die Inzidenz der unerwünschten Ereignisse nahm in der dritten Studienphase ab. Die häufigsten Nebenwirkungen hier waren Nasopharingitis und Kopfschmerzen.
An diese drei-phasige randomisierte Sudie wurde noch eine 6-monatige offene Dosis-Konfirmations-Studie angeschlossen (Huss M et al, Clin Drug Investig 2014; Jul 12. [Epub ahead of print)]. Diese Studie zeigte, dass die optimale Dosis etwa gleich verteilt war (40 mg: 152 Probanden, 60 mg: 177 Probanden, 80 mg: 160 Probanden). Die mittlere Verbesserung von den Ausgangswerten in dieser offen Studie lag für die DSM-IV ADHD RS bei 23.5 und für die SDS bei 9.90. Es traten keine neuen unerwarteten Nebenwirkungen auf.
Klinische Konsequenz
Methylphenidat ist das Arzneimittel der ersten Wahl bei Erwachsenen mit einer ADHS im Rahmen einer multimodalen Therapie, wenn andere therapeutische Maßnahmen sich allein als unzureichend erwiesen haben. Damit sind die Verschreibungsrichtlinien, die gleichen wie für Kinder und Jugendliche.
Die Verschreibung unterliegt wie bisher der BtM-Pflicht. Vor Behandlungsbeginn, sollten anhand von Eigenanamnese, Familienanamnese und körperlicher Untersuchung die Vorsichtsmaßnahmen zur Vermeidung von kardiovaskulären Risiken und das Risiko für Substanzmissbrauch berücksichtigt werden:
Box 1
(aus: Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie, Kapitel 10, 10. Auflage, November 2014)
Vorsichtsmaßnahmen zur Vermeidung kardiovaskulärer Risiken unter Methylphenidat, Amphetamin und Atomoxetin bei Patienten mit ADHS
- Eine regelmäßige Aufzeichnung der Herzfrequenz und des Blutdrucks ist bei allen Patienten v. a. vor der Behandlung, bei jeder Dosisanpassung und während der Behandlung (mindestens alle 6 Monate) verpflichtend.
- Bei Patienten mit Hypertonus, Tachykardie sowie kardiovaskulären oder zerebrovaskulären Erkrankungen müssen die Kontrollen von Puls und Blutdruck engmaschiger sein. Ein EKG muss bei allen Patienten, die noch andere AM erhalten, die das QTc-Intervall verlängern können, oder bei Patienten, die eine positive Familienanamnese für QTc-Zeit-Verlängerung haben, häufiger kontrolliert werden.
- Psychostimulanzien und Atomoxetin sollten bei Patienten mit schwerwiegenden kardiovaskulären oder zerebrovaskulären Erkrankungen und bei Patienten mit einem Long-QT-Syndrom nicht verordnet werden.
- Patienten mit einem nichtfunktionalen (poor metabolizer) CYP2D6-Enzym oder bei einer Begleitmedikation mit einem CYP2D6-Inhibitor sind einem höheren kardialen Risiko ausgesetzt.
- Diese Vorsichtsmaßnahmen zusammengenommen erfordern vor Beginn einer Behandlung bei jedem Patienten eine EKG-Ableitung und ggf. eine weitergehende kardiale Diagnostik, um Herz-Kreislauf-Erkrankungen sicher auszuschließen. Eine Begleitmedikation ist sorgfältig auszuwählen.
Box 2
(aus: Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie, Kapitel 10, 10. Auflage, November 2014)
Abhängigkeitsrisiko unter Psychostimulanzien bei Patienten mit ADHS
- Psychostimulanzien haben ein Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial.
- Eine erhöhte Prävalenz für eine Suchterkrankung bei Patienten mit ADHS, die mit Psychostimulanzien behandelt werden, ist im Vergleich zu nichtmedizierten ADHS-Patienten nicht zu erwarten. Eine Dosissteigerung ist auch bei Dauermedikation meist nicht notwendig.
- Patienten mit ADHS entwickeln häufiger Suchterkrankungen im Vergleich zur Normalbevölkerung.
- Durch die Methylphenidat-Retardpräparate wird das Missbrauchsrisiko vermindert, da die mehrfache tägliche Einnahme von Methylphenidat aufgrund der kurzen HWZ entfällt.
- Die verpflichtende Aufbewahrung der BtM-Rezepte für den einzelnen Patienten bietet eine Kontrollmöglichkeit des Einnahmeverhaltens.
- Die Kontrollbedingungen im therapeutischen Setting müssen in jedem Fall sehr engmaschig sein (z. B. regelmäßiges Drogenscreening).
- Komorbide Suchterkrankungen bei Patienten mit ADHS sollten mit KVT ggf. in Kombination mit Atomoxetin oder Antidepressiva (▶ Abschn. 10.3.2) behandelt werden.
Philip Heiser, Freiburg und Nordhausen
Otto Benkert, Mainz