Die Datenlage zu Ginkgo biloba als Antidementivum ist weiterhin nicht einheitlich trotz der langen Anwendungszeit der Substanz seit den 80-er Jahren. In der aktuellen 8. Auflage unseres Kompendiums der Psychiatrischen Pharmakotherapie bewerten wir das Präparat im Einklang mit der gültigen S3-Leitline Demenzen (Stand: 11/2009) (http://www.dggpp.de/documents/s3-leitlinie-demenz-kf.pdf) sowie einer Metaanalyse des Cochrane-Instituts (Birks J, Cochrane Database Syst Rev 2009, 21(1):CD003120) kritisch bei fehlendem Wirksamkeitsnachweis bei Mild Cognitive Impairment (MCI) und Demenz und nicht ausreichender Evidenz für die Demenzprävention. Gingko biloba wird übereinstimmend als Antidementivum nicht empfohlen.
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) attestierte in seinem Abschlussbericht für Gingko biloba-haltige Substanzen einen Beleg für einen Nutzen der Dosierung 240 mg bei Alzheimer-Demenz für das Therapieziel „Aktivitäten des täglichen Lebens“ sowie einen Nutzenhinweis für die Therapieziele „kognitive Fähigkeiten“ und „allgemeine psychopathologische Symptome“ (IQWiG, Abschlussbericht A05-19B, Köln 2008). Die Aussagekraft der vorhandenen Studien werde, so IQWiG, allerdings durch eingeschlossene Studien mit nicht-westlichem Versorgungskontext mit speziellen Patientenkollektiven (u.a. hohes Ausmaß psychopathologischer Begleitsymptome) limitiert.
Gründe für die inkonsistente Datenlage sind überwiegend die sehr heterogenen Studienpopulationen, die metaanalytische Bestimmungen von Effektstärken kaum ermöglichen. Auch sind in einer Vielzahl der Studien (insbesondere solcher älteren Datums) die Diagnosen nicht ausreichend nach modernen Kriterien operationalisiert. Immer wieder werden Demenzen und verallgemeinernd kognitive Störungen gemeinsam analysiert. Auch haben viele der häufiger zitierten Studien methodische Schwächen, wie etwa zu geringe Fallzahlen (nicht ausreichende statistische Power).
Eine neue Metaanalyse von Weinmann (Weinmann S, BMC Geriatr. 2010 Mar 17;10) aus neun randomisierten kontrollierten Studien mit insgesamt 2.372 Patienten (publiziert im Zeitraum 2000 bis 2009) zielt auf eine differenziertere Aussage unter exakt operationalisierter Abgrenzung der Diagnosen Alzheimer Demenz, vaskuläre Demenz und gemischte Demenz ab unter Verzicht auf sonstige kognitive Störungen wie etwa MCI oder andere Demenzformen. Dennoch wiesen die Autoren auf die starke Heterogenität auch der hier untersuchten Studien hin. Sie ermittelten eine signifikante Überlegenheit von Gingko biloba gegenüber Placebo für das Therapieziel „Kognition“, jedoch nicht für „Aktivitäten des täglichen Lebens“ für alle untersuchten Demenzformen. Für die Alzheimer Demenz zeigte sich sogar ein noch größerer Effekt hinsichtlich „Kognition“ und ein signifikanter Effekt hinsichtlich „Aktivitäten des täglichen Lebens“ als bei der Gesamtgruppe.
Die Metaanalyse ergab zudem eine dem Placebo vergleichbare Rate von Drop-outs und für unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Die Ergebnisse für die Therapieziele „Lebensqualität“ und „neuropsychiatrische Symptome“ waren nicht eindeutig und erlaubten laut Schlussfolgerung der Autoren keine Aussage.
Die Stärke bzw. Besonderheit der vorliegenden Metaanalyse liegt in der Auswahl von Studien mit einer genauen, operationalisierten Abgrenzung der genannten Demenzformen. In neueren klinischen Studien wird dem Therapieziel „Aktivitäten des täglichen Lebens“ bzw. dem Erhalt alltagspraktischer Fertigkeiten ein zentraler und sogar wichtigerer Stellenwert als der Kognition als Zielkriterium bzw. Endpunkt eingeräumt. Dies wird auch von nationalen und internationalen Zulassungsbehörden mittlerweile so gefordert.
Insoweit ist der signifikante Effekt von Gingko biloba bei der Alzheimer Demenz im Rahmen der hier diskutierten Metaanalyse ein sicherlich wichtiger Befund. Eine Überlegenheit der hohen Dosis (240 mg) gegenüber einer niedrigeren ließ sich nicht eindeutig ableiten. Insgesamt sind weitere randomisierte kontrollierte Studien mit genauer diagnostischer Abgrenzung zu fordern. Es fehlen auch valide Vergleichsstudien mit Acetylcholinesterasehemmern (AChEI) sowie zur Kombinationstherapie. Angesichts der zunehmenden auch sozioökonomischen Bedeutung von Demenzerkrankungen sind hier aber weitere Studien mit Gingko biloba erforderlich und lohnend.
Klinische Konsequenzen
- Eine Empfehlung zur Verordnung von Gingko biloba als Antidementivum mit Gleichrangigkeit zu AChEI kann weiterhin nicht gegeben werden.
- Es existiert noch keine Evidenz für eine Kombinationstherapie von AChEI mit Gingko biloba.
- Der Stellenwert von Gingko biloba könnte in der Behandlung von speziellen Patienten mit Alzheimer Demenz und vorliegenden Kontraindikationen oder Unverträglichkeiten der verfügbaren spezifischen Antidementiva (AChEI bzw. Memantin) und einem entsprechenden Behandlungswunsch liegen.
- Aufgrund vorliegender Erkenntnisse ist die hohe Behandlungsdosis mit 240 mg täglich anzustreben.
- Die Verträglichkeit von Gingko biloba ist generell gut. Aufgrund von Hinweisen für eine erhöhte Blutungsneigung insbesondere bei Vorliegen bestimmter Koagulopathien sollte eine genaue Gerinnungsanamnese erhoben werden. Eine Kombination von Gingko biloba mit anderen gerinnungsbeeinflussenden Substanzen (z.B. Thrombozytenaggregationshemmer) sollte vermieden werden.
Christian Lange-Asschenfeldt, Düsseldorf
Otto Benkert, Mainz