Melatonin – Zusammenhang zwischen höherem Alter, aber nicht niedrigen Melatonin-Spiegeln und der Wirksamkeit von retardiertem Melatonin bei primärer Insomnie

Retardiertes Melatonin (Circadin®) wurde 2008 zur Monotherapie für die kurzzeitige Behandlung der primären Insomnie bei Patienten ab 55 Jahren zugelassen (s. News vom 14.7.2008). Kürzlich wurde die Behandlungsdauer auf 13 Wochen erweitert. Grundlage hierfür ist eine Studie von Wade et al. (BMC Medicine 2010, 8:51, doi:10.1186/1741-7015-8-51). Diese Studie legt nahe, dass höheres Alter, aber nicht die endogenen Melatonin-Spiegel ein Prädiktor der Wirksamkeit der Substanz ist.

 

791 ambulante Patienten mit primärer Insomnie wurden über zwei Wochen mit Placebo und dann über drei Wochen doppelt blind mit retardiertem Melatonin oder Placebo behandelt. In den folgenden 24 Wochen wurde bei Patienten, die Melatonin erhalten hatten, diese Behandlung fortgesetzt. Diejenigen, die Placebo erhalten hatten, wurden randomisiert 1:1 mit Melatonin oder Placebo behandelt. Es schloss sich jeweils eine 2-wöchige einfach blinde Ausschleichphase mit Placebo an. Die primäre Wirksamkeitsvariable war die in einem Schlaftagebuch erfasste Schlaflatenz. Während des 3-wöchigen doppelt blinden Behandlungsabschnittes unterschied sich die Wirksamkeit von retardiertem Melatonin auf die Schlaflatenz bei Patienten mit niedrigen endogenen Melatonin-Spiegeln (£ 8 µg/Nacht) unabhängig vom Alter nicht von Placebo. Hingegen sank die Schlaflatenz bei älteren Patienten (65-80 Jahre) unter retardiertem Melatonin signifikant gegenüber Placebo ab. Während der 6-monatigen Untersuchungsperiode blieb die Wirkung auf Schlaflatenz und andere subjektive Parameter, die sich unter Melatonin verbessert hatten, erhalten oder verbesserte sich weiter.

 

Facit:

Die Autoren schließen, dass eine kurzzeitige, 3-wöchige Behandlung mit retardiertem Melatonin bei älteren Patienten mit primärer Insomnie wirksam ist. Sie weisen daraufhin, dass die Altersgrenze von 65 Jahren in der vorliegenden Studie nicht das Therapieansprechen jüngerer Patienten ausschließt. Dabei verweisen sie auf frühere Studien, die eine Wirksamkeit bei Patienten von mindestens 55 Jahren zeigt. Weiter kommen sie so zum Schluss, dass niedrigere Melatonin-Spiegel unabhängig vom Alter kein Prädiktor für die Wirksamkeit von retardiertem Melatonin bei der Insomnie sind. Bei über 65-jährigen blieb das Therapieansprechen bei Fortsetzung der Therapie über sechs Monate erhalten.

 

Als Begrenzung ihrer Studie nennen die Autoren das Fehlen von Schlaf-EEG- und aktigrafischen Untersuchungen.

 

Klinische Konsquenz:

Die Studie zeigt einen überraschenden Befund: die Wirksamkeit von retardiertem Melatonin bei primärer Insomnie scheint vom höheren Alter, aber nicht von niedrigen Melatonin-Spiegeln abzuhängen. Bisher herrschte die Vorstellung, dass exogenes Melatonin über Substitution der im Alter sinkenden Melatonin-Spiegel schlaffördernd wirken könnte.
Ein Therapieversuch aufgrund dieser Untersuchungen ist über einen Zeitraum von 3 Monaten gerechtfertigt; für einen darüber hinausgehenden Zeitraum reichen die Sicherheitsdaten nicht aus.  Falls innerhalb von 3 Wochen kein Ansprechen auf Melatonin erfolgt, sollte Melatonin abgesetzt werden. Eine off-label-Anwendung von Melatonin bei Patienten, die jünger als 55 Jahre alt sind, erscheint nicht sinnvoll, solange keine weiteren Daten eine solche Anwendung unterstützen würden.

 

 

Axel Steiger, München

Otto Benkert, Mainz

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