Antidepressiva – engmaschiges Monitoring zur Reduktion des Suizidrisikos nötig

In unserer News vom 16. Mai 2007, 10. September 2007 und 7. Februar 2008 berichteten wir über das erhöhte Suizidrisiko unter Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen sowie jungen Erwachsenen bis 24 Jahre und über das Problem, dass es im Anschluss an die Warnhinweise bezüglich eines möglicherweise erhöhten Risikos von Suizidideationen und/oder suizidalen Verhalten unter der Behandlung mit Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen sowie jungen Erwachsenen nicht etwa zu der allseits empfohlenen Zunahme des Monitorings beim Einsatz von Antidepressiva gekommen war, sondern vielmehr – unabhängig vom Alter der Patienten – zu einer geringeren Verordnungswahrscheinlichkeit von Antidepressiva.

 

Neue Daten über die Auswirkungen der Warnhinweise zeigen, dass diese zunächst als vorübergehend angesehenen Effekte der Warnhinweise auf die ambulante Versorgung depressiver Patienten weiterhin anhalten. So berichten Libby et al. (Arch Gen Psychiatry 2009; 66:633) eine fortbestehende Abnahme in den Diagnoseraten von Depressionen und eine verminderte Rate an Verordnungen von SSRI über alle Altersgruppen hinweg. Ein vermehrtes Zurückgreifen auf alternative Behandlungsstrategien wie etwa psychotherapeutische Verfahren oder die Verordnung von Anxiolytika oder atypischen Antipsychotika fand sich dabei einzig in der Altersgruppe der Erwachsenen und hier in Form einer geringfügigen Zunahme des Anteils an Patienten, die einer psychotherapeutischen Intervention zugeführt wurden.

 

Wie bereits in unseren vorherigen Stellungnahmen wird an dieser Stelle im Hinblick auf Nutzen-Risiko-Abwägungen und möglicherweise verunsicherte Patienten und Therapeuten ein weiteres Mal darauf hingewiesen, dass unbehandelte depressive Patienten ein höheres Suizidrisiko tragen als jene unter einer antidepressiven Medikation. Dies zeigte sich auch in der kürzlich publizierten retrospektiven Fall-Kontroll-Studie depressiver Patienten, in der erstmals das Risiko eines Suizidversuchs unter Antidepressiva in Bezug auf die einem Suizidversuch vorausgehende Dauer einer antidepressiven Behandlung und Dosisänderungen im Verlauf einer antidepressiven Behandlung untersucht wurde (Valuck et al., J Clin Psychiatry 2009; 70:1069).

 

Hier fand sich nach Kontrolle konfundierender Faktoren wie Schweregrad der Depression, Komorbiditäten und Gebrauch anderer (Psycho-) Pharmaka ein signifikant protektiver Effekt einer Behandlung mit einem Antidepressivum bezüglich des Risiko eines Suizidversuchs (Odds Ratio (OR): 0,62). In Bezug auf das Risiko eines Suizidversuchs während verschiedener Phasen einer Behandlung mit Antidepressiva ergab sich dagegen für Patienten unter einer gegenwärtigen Behandlung mit Antidepressiva im Verlauf der ersten 55 Tage ein signifikant erhöhtes Risiko eines Suizidversuchs (OR: 3,42) im Vergleich zu Patienten mit einer Behandlung in der Vorgeschichte. Ebenso ergab sich ein signifikant erhöhtes Risiko eines Suizidversuchs in Zusammenhang mit Dosiserhöhungen (OR: 2,62) sowie Dosiserniedrigungen (OR: 2,19) im Verlauf einer Erhaltungstherapie (nach 56 Tagen), im Verlauf der ersten 2 Wochen nach Absetzen eines Antidepressivums (OR: 1,61), sowie -geringer ausgeprägt- im Anschluss an eine frühzeitig, innerhalb von 56 Tagen nach Beginn beendete antidepressive Behandlung (OR: 1,24). Mit zunehmender Dauer einer Behandlung mit Antidepressiva fand sich eine Abnahme des Risikos eines Suizidversuchs; so zeigte sich im Verlauf einer frühen Erhaltungstherapie (56-179 Tage) eine OR von 1,77 für das Risiko eines Suizidversuchs, im Verlauf einer späten Erhaltungstherapie (180 Tage und mehr) eine OR von 1,36.

 

Klinische Konsequenzen:

 

Die Behandlung depressiver Episoden mit Antidepressiva geht mit einem protektiven Effekt bezüglich Suizidideationen und/oder suizidalem Verhalten einher; unbehandelt depressive Patienten tragen ein höheres Risiko für Suizidalität als jene unter einer antidepressiven Medikation. Insbesondere zu Beginn einer Behandlung mit Antidepressiva, aber auch bei Absetzen einer antidepressiven Medikation, im Anschluss an eine frühzeitig beendete Therapie mit Antidepressiva sowie im Fall von Dosisänderungen sollten Patienten dabei einem engmaschigen Monitoring unterzogen werden.

 

Francesca Regen, Berlin

Otto Benkert, Mainz

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