Bereits in unserer News vom 31.03.2008 wurde über das teratogene Risiko durch Gabe von Antiepileptika bei der Einnahme im 1. Trimenon berichtet. Das bisherige Wissen über die Auswirkungen intrauteriner Antiepileptika-Exposition konnte durch kürzlich erschienene Studien hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf kognitive Funktionen erweitert werden.
Die noch laufende prospektive Studie der Liverpool and Manchester Neurodevelopment Group Bromley et al., Neurology 2008; 71:1923 untersucht Auswirkungen einer intrauterinen Exposition mit verschiedenen Antiepileptika bei Patientinnen, die aufgrund einer Epilepsie mit einem Antiepileptikum behandelt wurden. Als Vergleichsgruppe dienen nicht-medikamentös behandelte Patientinnen mit einer Epilepsie sowie gesunde Schwangere. Von 249 Kindern, deren Mütter während der Schwangerschaft mit einem Antiepileptikum behandelt wurden, wurden bei sieben gemäß der DSM-IV-Kriterien eine Autismus-Spektrum-Störung (ASS) diagnostiziert (2,8% der exponierten Kinder). Im Vergleich hierzu zeigten in der nicht-exponierten Gruppe (383 Kinder) zwei Kinder eine ASS, ein Kind zeigte verschiedene Symptome einer ASS (0,9% der nicht-exponierten Kinder). Von 64 Kindern, die einer intrauterinen Valproinsäure-Exposition ausgesetzt waren, wurde bei vier (6,3%) eine ASS diagnostiziert. Die Inzidenz liegt damit siebenmal höher als in der Kontrollgruppe (0,9 %). Hinsichtlich der Gruppen von Kindern, die Lamotrigin oder Phenytoin ausgesetzt waren, können aufgrund jeweils eines einzigen Falles keine verwertbaren Schlussfolgerungen abgeleitet werden. Bei keinem der untersuchten Kinder, die einer Carbamazepin-Exposition oder einer anderen antiepileptischen Monotherapie ausgesetzt waren, wurde eine ASS diagnostiziert. Ebenso trat bei keinem der Kinder der Frauen eine ASS auf, die bei bekannter Epilepsie während der Schwangerschaft nicht mit einem Antiepileptikum behandelt worden waren.
In einer weiteren aktuellen Studie der Neurodevelopmental Effects of Antiepileptic Drugs Study Group Meador et al., N Engl J Med 2009, 260:1597 wurden Kinder epilepsiekranker Mütter, die während der Schwangerschaft antikonvulsiv behandelt wurden, im Alter von drei Jahren hinsichtlich kognitiver Funktionen untersucht. Es zeigte sich, dass diejenigen Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft mit Valproinsäure behandelt wurden, einen signifikant niedrigeren IQ aufwiesen als die Kinder, deren Mütter mit Phenytoin, Carbamazepin oder Lamotrigin behandelt wurden. Dabei konnte im Falle der intrauterinen Valproinsäureexposition ein Zusammenhang zwischen der Dosis der Substanz und einem erniedrigten IQ gezeigt werden. Zudem korrelierte nur im Falle der Valproinsäure-exponierten Kinder der gemessene IQ nicht mit dem mütterlichen.
Bewertung
Ergänzend zu den bisher bekannten teratogenen Wirkungen verschiedener Antiepileptika, die vornehmlich in Form von Fehlbildungsanomalien und Entwicklungsverzögerungen beschrieben sind, wird durch die neuen Studien gezeigt, dass eine intrauterine Exposition mit Valproinsäure ein im Vergleich zu anderen Antiepileptika erhöhtes Risiko der Entwicklung einer Autismus-Spektrum-Störung oder eines erniedrigten Intelligenzquotienten birgt. Obwohl zur abschließenden Beurteilung mehr Daten notwendig sind, ist gegenwärtig davon auszugehen, dass die Einnahme von Valproinsäure bei Patientinnen im gebärfähigen Alter und bei einer geplanten Schwangerschaft sehr kritisch hinterfragt werden muss. Aufgrund der vorliegenden Studienlage sollte Valproinsäure bei diesen Frauen nur dann eingesetzt werden, wenn ein zuverlässiger Empfängnisschutz besteht.
Philip Heiser, Freiburg
Michael Paulzen, Aachen
Gerhard Gründer, Aachen
Otto Benkert, Mainz