Antidepressiva – Empfehlung der AHA zur Diagnostik und Behandlung der Depression bei kardiovaskulären Erkrankungen

In unserer News vom 19. November 2007 hatten wir ausführlich über den Stand der Studien zur antidepressiven Therapie nach Herzinfarkt berichtet. Wir empfahlen aufgrund des aktuellen Forschungsstandes die SSRI Citalopram und Sertralin bei schweren und rezidivierenden Depressionen nach kardialen Ereignissen (Myokardinfarkt – MI-, instabiler Angina pectoris) zu verordnen.

Wir wiesen auch darauf hin, dass bei leichten und mittelgradigen Depressionen die Therapie mit SSRI unter Beachtung möglicher unerwünschter Arzneimittelwirkungen (s. auch News vom 26. August 2008) individuell abgewogen werden sollte, weil die Wirksamkeit hier nicht belegt ist. Ein Schutz vor Rezidiven nach Herzinfarkt bzw. eine günstige Auswirkung auf die kardiale Prognose bzw. Mortalität konnte jedoch – wie berichtet – bisher weder durch Antidepressiva noch durch Psychotherapie nachgewiesen werden.
Über den engen Zusammenhang zwischen Depression einerseits und körperlichen Erkrankungen andererseits, insbesondere den kardiovaskulären Erkrankungen, berichten wir im Kompendium jeweils ausführlich in Kap 1.4.1 und 13.2.
Nun gibt die AHA (American Heart Association) die Empfehlung heraus, regelmäßig einen Test (Patient Health Questionnaire-2 bzw. -9) speziell zur Erfassung der Depression bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen (v. a. koronarer Herzerkrankung) durchzuführen (Lichtmann JH et al, Circulation, 2008, 118; circ.ahajournals.org). Dabei wird auf die enge Assoziation zwischen Depression und Herz-Kreislauf-Erkrankungen Bezug genommen: die Depression tritt bei Patienten nach MI 3x häufiger als in der Allgemeinbevölkerung auf; 15-20% haben nach einem MI eine Depression.
Die überwiegende Zahl der bisherigen Publikationen zu diesem Thema, so wird berichtet, geht davon aus, dass sich die Prognose für Patienten nach einem Herzinfarkt durch eine zusätzlich auftretende Depression verschlechtert. Ursachen hierfür sind, wie in der Empfehlung zusammengefasst, zum einen biologische Zusammenhänge (z. B. bei Depression eingeschränkte autonome Adaptationsfähigkeit bei reduzierter Herzratenvariabilität, Dysfunktion der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse, Thrombozyten- und endotheliale Dysfunktion, atherogene entzündliche Konstellationen), zum anderen Verhaltensfaktoren (bei Depression reduzierte körperliche Aktivität, erhöhter Nikotinkonsum, einseitige Ernährung, Stressfaktoren etc.). Die Autoren weisen aber auch darauf hin, dass durch das Screening selbst ein besseres kardiologisches Outcome bisher nicht gesichert werden konnte.
Aus der hier ausgesprochenen Empfehlung eines generellen Depressions-Screenings ergibt sich scheinbar eine Diskrepanz, da die aktuelle Datenlage nicht für eine Verbesserung der kardialen Prognose durch antidepressive Therapie spricht. Es muss aber angemerkt werden, dass derzeit zu wenige und diesbezüglich methodisch nicht unproblematische Studien existieren. Andererseits kann der negative Einfluss einer depressiven Komorbidität auf das kardiologische Langzeit-Outcome als gesichert gelten. Das hier vorgeschlagene Depressions-Screening führt damit sicherlich zur Identifikation einer bedeutenden Risikogruppe innerhalb der kardiovaskulär Erkrankten. Auf eine konsequente antidepressive Therapie sollte insbesondere bei nachgewiesener guter Verträglichkeit der genannten Antidepressiva in dieser Indikation nicht verzichtet werden. Weitere Untersuchungen zu dieser wichtigen Fragestellung sind dringend notwendig.

Klinische Konsequenzen:


- Durch die Empfehlung der AHA in einem hochrangigen kardiologischen Journal wird die Aufmerksamkeit  auch in der somatischen Medizin stark auf den verlaufsmodifizierenden Zusammenhang zwischen Depression und kardiovaskulären Erkrankungen bzw. Akutereignissen gerichtet.
- Durch die Forderung nach einem regelmäßigen Depression-Screening kann die Zusammenarbeit zwischen Psychiater und Internisten/Hausärzten deutlich gesteigert werden.
- Citalopram und Sertralin werden als Mittel der Wahl bei einer Depression nach MI noch einmal bestätigt.

Christian Lange-Asschenfeldt, Düsseldorf
Otto Benkert, Mainz

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