In der medikamentösen Therapie depressiver Syndrome bei komorbiden Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind selektive Serotonin-Rückaufnahmehemmer (SSRI) auf Grund Ihres günstigen Nebenwirkungsprofils derzeit Mittel der Wahl. Da jedoch auch bei dieser Substanzgruppe sehr selten Arrhythmien, Verlängerung der QTc-Zeit im EKG, Elektrolytstörungen und orthostatische Dysregulation beobachtet wurden, werden aktuell auch hier regelmäßige elektrokardiographische Kontrollen empfohlen. Weiterhin zu beachten ist das in dieser Population erhöhte gastrointestinale Blutungsrisiko im Falle einer hier häufig anzutreffenden Komedikation mit Thrombozytenaggregationshemmern oder Antikoagulantien.
Das Vorliegen einer Depression nach einem Myokardinfarkt ist wahrscheinlich ein unabhängiger und erheblicher Risikofaktor für die kardiale und die Gesamtmortalität im Verlauf (Faktor 2 – 2,5: van Melle et al.; Psychosom med 2004; 66:814 und scheint auch ein Prädiktor für ein schlechteres Outcome nach Rehabilitation zu sein, stellt also somit auch einen wesentlichen sozioökonomischen Belastungsfaktor dar Soderman et al,; Soc Sci Med 2003; 56:193?
Eine grosse Interventionsstudie (ENRICHD, Berkman et al.; JAMA 2003; 289:3106 zeigte, dass kognitive Verhaltenstherapie lediglich kurzfristig wirksam war, jedoch weder einen langfristigen Effekt in der Behandlung einer Depression nach akutem Herzinfarkt noch auf die kardiale Prognose in dieser Situation hatte.
Die SADHART-Studie Glassman et al.; JAMA 2002; 288:701 war die erste randomisierte placebo-kontrollierte doppelblinde Arzneimittelstudie nach akutem Koronarsyndrom (Depression nach akutem Myokardinfarkt bzw. instabiler Angina pectoris). Sie zeigte, dass ein signifikanter Effekt (CGI und HAM-D) für Sertralin nur dann bestand, wenn es sich um eine schwere oder rezidivierende Depression handelte. Weiterhin zeigte sie die relative Sicherheit dieser Substanz bei Patienten nach akutem Koronarsyndrom. Mit ei-nem relativ kurzen Follow-up-Zeitraum von 6 Monaten war diese Studie jedoch nicht auf eine Untersuchung der kardiovaskulären Prognose ausgelegt.
In der CREATE-Studie Lespérance et al.; JAMA 2007; 297:367 hatte Citalopram in Verbindung mit klinischem Management auf die Depression einen signifikanten Effekt, wobei interpersonelle Psychotherapie keinen zusätzlichen Nutzen gegenüber dem klinischen Management brachte. Eine positive Wirkung der Behandlung auf die kardiale Prognose oder die Mortalität konnte in dem kurzen Beobachtungszeitraum von 12 Wochen nicht gezeigt werden.
Die jetzt publizierte MIND-IT-Studie van Melle et al.; Br J Psychiatry 2007; 190:460, deren Ergeb-nisse lange erwartet worden sind, war auf die Untersuchung des Einflusses einer anti-depressiven Behandlung auf Depressivität und kardiales Outcome nach 18 Monaten post Myokardinfarkt angelegt. Im Rahmen dieser multizentrischen holländischen Studie waren verschiedene Möglichkeiten der Intervention gegeben: Placebokontrollierte Behandlung mit Mirtazapin, offene Therapie mit Citalopram, Psychotherapie bzw. Feldbeobachtung bei freier Behandlung durch studienunabhängige Ärzte („care as usual“). Die Ergebnisse waren wie bei ENRICHD negativ, so dass geschlossen wurde, dass antidepressive Behandlung keinen Einfluss auf Depressivität und kardiales Outcome im Langzeitverlauf nach Myokardinfarkt habe. Die Aussagen dieser großangelegten Studie sind jedoch durch die immer noch verhältnismäßig geringe Stichprobengröße bei gleichzeitig komplexem Design und gerade vor dem Hintergrund ohnehin relativ kleiner Effektgrößen bei antidepressiven Studien entscheidend limitiert.
Therapieempfehlung für antidepressive Behandlung nach kardiovaskulären Ereignissen
Antidepressiva der Wahl sind derzeit SSRI, wobei aufgrund der o.g. Untersuchungen zur Zeit Sertralin und Citalopram bevorzugt werden sollten. Sie sind bei einer Depression nach Herzinfarkt dann sicher indiziert, wenn es sich um eine schwere oder rezidivierende Depression handelt.
Ein positiver Effekt auf kardiale Prognose bzw. Mortalität nach akutem Myokardinfarkt bzw. instabiler Angina pectoris ist bisher nicht gezeigt worden. ? Kognitive Verhaltenstherapie und interpersonelle Therapie sind nach dem jetztigen Stand der Forschung bei einer Depression nach Herzinfarkt nicht langfristig wirksam.
Bei leichten und mittelgradigen Depressionen muss eine Therapie mit SSRI unter Beachtung möglicher unerwünschter Arzneimittelwirkungen (s.o.) individuell abgewogen werden. Zu beachten ist dabei, dass die Wirksamkeit hier nicht belegt ist, jedoch die Anwendung verhältnismäßig sicher erscheint. Individuell auftretende signifikante Nebenwirkungen sollten jedoch aus den vorgenannten Gründen nicht in Kauf genommen werden.
Die vier oben beschriebenen Studien erbrachten insgesamt ein noch wenig eindeutiges Ergebnis. Es ist allerdings hervorzuheben, dass z.B. aufgrund der SADHART- und ENRICHD-Studie wegen der kurzen Beobachtungsdauer keine Aussage auf das kardiovaskuläre Langzeit-Outcome gemacht werden kann. Die aktuellste MIND-IT-Studie ist aufgrund der geschilderten methodischen Mängel (v.a. geringe Stichprobengröße bei sehr komplexem Design) hinsichtlich antidepressiver Wirksamkeit von Pharmako- und Psychotherapie sowie kardialer Prognose nur bedingt aussagekräftig. Weitere Studien mit Langzeitdesign und größerer Stichprobenanzahl sind zur Klärung dieser klinisch sehr relevanten Problematik wünschenswert.
Christian Lange-Asschenfeldt, Düsseldorf
Otto Benkert, Mainz