Antidepressiva in der Schwangerschaft und Stillzeit – aktuelle Literaturübersicht und Empfehlungen *

Selektive Serotonin-Rückaufnahmehemmer (SSRI)

Teratogenes Risiko

In einer kürzlichen Studie wurde der Zusammenhang zwischen einer Behandlung mit SSRI bei Schwangeren und einer pulmonalen Hypertension bei Neugeborenen untersucht. 377 Mütter von Neugeborenen, die an einer pulmonalen Hypertension litten, wurden mit einer Kontrollgruppe von 836 Müttern verglichen, deren Neugeborene nicht an einer pulmonalen Hypertension litten. Bei 14 Neugeborenen mit pulmonaler Hypertension wurden die Mütter nach der 20. Schwangerschaftswoche (SSW) mit SSRI behandelt (Citalopram, Fluoxetin, Paroxetin oder Sertralin), während in der Kontrollgruppe nur 6 Mütter mit SSRI behandelt worden waren. Diese Assoziation zwischen SSRI-Behandlung nach der 20. Schwangerschaftswoche und pulmonaler Hypertension beim Neugeborenen war signifikant. Eine Assoziation zwischen pulmonaler Hypertension bei Neugeborenen und SSRI-Einnahme der Mütter vor der 20. SSW fand sich nicht. Auch fand sich keine Assoziation zwischen pulmonaler Hypertension bei Neugeborenen und der Einnahme von Amitriptylin, Imipramin, Nortriptylin, Venlafaxin, Bupropion oder Trazodon in der Schwangerschaft. Chambers et al.; N Engl J Med 2006; 356:579 

Von 527 Kindern, deren Mütter im ersten Trimenon mit Paroxetin behandelt worden waren, wurden 23 mit einer Fehlbildung geboren. Verglichen mit Kindern von Müttern, die mit einem anderen Antidepressivum als Paroxetin behandelt worden waren, war die beschriebene Assoziation signifikant (Food and Drug Administration, December 8, 2005).

Eine Studie an 1403 Müttern zeigte eine Assoziation zwischen Paroxetin-Einnahme im ersten Trimenon und Herz-Fehlbildungen, allerdings nur für eine Dosierung größer als 25 mg pro Tag. Berard et al.; Brith Defects Res B Dev Reprod Toxicol 2007; 80: 18 Die Einnahme von SSRI im ersten Trimenon erhöhte das Risiko für Fehlbildungen im Vergleich zur Einnahme von anderen Antidepressiva nicht.

Eine retrospektive Studie an 6481 Müttern, welche in der Frühschwangerschaft SSRI eingenommen hatten, zeigte insgesamt kein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen. Allerdings fand sich eine Assoziation zwischen Paroxetin-Einnahme und kardialen Fehlbildungen. Kallen et al.; Birth Defects Res A Clin Mol Teratol 2007; 79: 301

In einer Gruppe von 1051 Müttern, die im ersten Trimenon SSRI eingenommen hatten, zeigten 51 Kinder Fehlbildungen (4,9%), während es in einer Kontrollgruppe nur 3,4% waren. Dieser Unterschied war statistisch signifikant. Wogelius et al.; Epidemiology 2006; 17: 701

In einer weiteren aktuellen Studie wurden 9622 Kinder, welche eine Fehlbildung aufwiesen, mit 4092 gesunden Kindern verglichen. Eine signifikante Assoziation zwischen einer kindlichen Fehlbildung und einer SSRI-Behandlung der Mütter in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft wurde für folgende Fehlbildungen gefunden: Anenzephalie (von 214 betroffenen Kindern waren 9 Mütter mit SSRI behandelt worden), Kraniosynostosis (432 betroffene Kinder, 24 Fälle unter SSRI) und Omphalozele (181 betroffene Kinder, 11 Fälle unter SSRI). Signifikante Assoziationen für andere Fehlbildungen fanden sich nicht. Alwan et al.; N Engl J Med 2007; 356: 2684

Eine weitere Studie konnte diese Befunde insgesamt nicht replizieren. 9849 Kinder, welche eine Fehlbildung aufwiesen, wurden mit 5860 gesunden Kindern verglichen. Zwar wurde keine Assoziation zwischen spezifischen Fehlbildungen (Kraniosynostosis, Omphalozele, Herzfehler) und der Einnahme irgendeines SSRI im ersten Trimenon gefunden, allerdings konnte eine signifikante Assoziation zwischen bestimmten Fehlbildungen und der Einnahme einzelner SSRI gefunden werden. So war die Einnahme von Sertralin signifikant mit einem Septum-Defekt (1161 Kinder mit Septum-Defekt, 13 unter Sertralin) und mit einer Omphalozele (127 Kinder mit Omphalozele, 3 unter Sertralin) assoziiert, und es konnte eine signifikante Assoziation zwischen Paroxetin-Einnahme und einer Obstruktion des rechten Ventrikels gezeigt werden (363 Kinder mit einer Obstruktion des rechten Ventrikels, 6 Expositionen mit Paroxetin). Für andere Antidepressiva als SSRI fanden sich keine Assoziationen mit Fehlbildungen. Louik et al.; N Engl J Med 2007; 356: 2675

Eine große retrospektive Studie (n=1782) konnte keine erhöhte Fehlbildungsrate nach SSRI-Behandlung im ersten Trimenon finden. Malm et al.; Obstet Gynecol 2005; 106: 1289

Perinatale Risiken

Ähnlich wie für TZA wurde auch für SSRI über Absetzeffekte in der Perinatalzeit berichtet. Ruchkin et al.; Lancet 2005; 9458: 451 Sanz et al.; Lancet 2005; 9458: 482 Andere Autoren gehen eher von einer serotonergen Überstimulation aus. Die Syndrome sind transienter Natur und in der Regel nicht lebensbedrohlich.

In einer Studie mit jeweils 200 Patientinnen wurde für TZA kein Einfluss auf perinatale Parameter gefunden. Hingegen fand sich eine Assoziation zwischen SSRI-Behandlung in der Schwangerschaft und einer verkürzten Schwangerschaftsdauer, einem geringeren Geburtsgewicht sowie einem schlechteren Apgar-Wert. Oberlander et al.; Arch Gen Psychiatry 2006; 63: 898 Der Zusammenhang mit dem Apgar-Wert fand sich jedoch nur bei Einnahme des SSRI im 3. Trimenon der Schwangerschaft.

Eine neuere retrospektive Studie mit 1782 Patientinnen, die während der Schwangerschaft mit SSRI behandelt worden waren, zeigte eine erhöhte intensivmedizinische Behandlungsnotwendigkeit für Neugeborene, deren Mütter im 3. Trimenon SSRI eingenommen hatten. Malm et al.; Obstet Gynecol 2005; 106: 1289

Eine neue Studie Orr et al.; Psychosom Med 2007; 69: 566 zeigte ein erhöhtes Risiko einer verkürzten Schwangerschaftsdauer bei Müttern, die unter unbehandelten Ängsten litten. In einer anderen aktuelle Studie Suri et al.; Am J Psychiatry 2007; 164: 1206 wird auf einen Zusammenhang zwischen pränataler Antidepressiva-Gabe und verkürzter Schwangerschaftsdauer hingewiesen, jedoch keinen Zusammenhang zwischen depressiver Symptomatik und Schwangerschaftsdauer gesehen.

Trizyklische Antidepressiva (TZA)

Eindeutige teratogene Risiken konnten für TZA nicht gefunden werden. Am risikoreichsten ist der Einsatz von TZA mit starker anticholinerger Komponente.

Werden Antidepressiva während der Perinatalzeit abgesetzt, können bei Neugeborenen „Entzugssyndrome“ mit erhöhter Reizbarkeit, Erregbarkeit und Krampfbereitschaft auftreten.

Andere Antidepressiva

Eine prospektive Studie an 150 Müttern, die während der Schwangerschaft mit Venlafaxin behandelt wurden, konnte keine erhöhte Fehlbildungsrate nachweisen Einarson et al.; Am J Psychiatry 2001: 158: 1728

Ebenfalls zeigte eine prospektive Studie an 136 Müttern, die während der Schwangerschaft Bupropion erhielten, keine erhöhte Fehlbildungsrate Chun-Fai-Chan et al.; Am J Obstet Gynecol 2005; 192: 932

In einer prospektiven Studie an 104 Müttern, die während der Schwangerschaft mit Mirtazapin behandelt wurden, konnten zwar keine erhöhten Fehlbildungsraten nachgewiesen werden, allerdings zeigte sich bei den mit Mirtazapin behandelten Müttern im Vergleich zu einer Kontrollgruppe eine verkürzte Schwangerschaftsdauer (Geburt vor der 37. Schwangerschaftswoche) Djulus et al.; J Clin Psychiatry 2006; 67: 1280

Empfehlung

Durch die Ergebnisse der oben genannten – allerdings zum Teil auch widersprüchlichen – Studien muss die Empfehlung zur Verordnung von Antidepressiva in der Schwangerschaft weiter eingeengt werden:

Eine Behandlung mit SSRI geht mit einem leicht erhöhten Risiko von bestimmten Fehlbildungen einher; sie sind allerdings sehr selten. Aufgrund methodischer Probleme kann nicht sicher unterschieden werden, ob das möglicherweise bestehende teratogene Risiko auf die psychiatrische Grunderkrankung oder auf die SSRI-Behandlung zurückgeführt werden kann.

Die Indikation zur Behandlung mit einem Antidepressivum muss in der Schwangerschaft aber dennoch besonders eng gestellt werden. Die Eltern sind ausführlich über die möglichen Risiken aufzuklären. Bei leichten Depressionen sollte von einer medikamentösen Behandlung abgesehen werden und auf psychotherapeutische Verfahren zurückgegriffen werden.

Werden die Risiken der Depression für die Mutter aber höher als die Risiken für das Kind eingestuft, ist eine Indikation für Antidepressiva gegeben. Nach dem jetzigen Stand der Veröffentlichungen erscheint Nortriptylin unproblematischer als SSRI zu sein.

Diese Empfehlungen sollen aber in keinem Fall dazu führen, dass depressiven Schwangeren eine notwendige Therapie vorenthalten wird. Frauen, die eine bestehende Behandlung mit SSRI während einer Schwangerschaft beenden, haben ein dreifach erhöhtes Risiko für einen Rückfall in die Depression als Patientinnen, welche die SSRI- Behandlung fortführen Cohen et al.; JAMA 2006; 295: 499

Falls während einer Schwangerschaft ein Antidepressivum neu gegeben werden muss, sollte auf Paroxetin verzichtet werden (Food and Drug Administration, December 8, 2005). Vom Stillen unter Antidepressiva ist abzuraten.

Olaf Möller, Aachen

Gerhard Gründer, Aachen

Otto Benkert, Mainz

* Es wird aufgrund neuer Publikationen zu diesem Thema eine aktuelle Übersicht und Bewertung zum Oktober 2007 im Vergleich zum Erscheinen des Kompendiums, 6. Auflage, im November 2006 gegeben.

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