Nach der FDA (Dezember 2012) hat auch die europäische Zulassungsbehörde (EMA) im Februar 2013 Loxapin (Adasuve) als erstes inhalatives Antipsychotikum für die schnelle Kontrolle leichter bis moderater Agitiertheit bei Erwachsenen mit Schizophrenie oder bipolarer Störung (BP I) zugelassen. Hersteller ist Alexza Pharmaceuticals (USA), den Vertrieb in Europa übernimmt die Ferrer-Gruppe (in Deutschland die Firma Trommsdorff). Adasuve wird in den nächsten Wochen verfügbar sein.
Das lange bekannte und in den USA zur Schizophreniebehandlung zugelassene trizyklische Antipsychotikum Loxapin (orale Gabe bis 50mg/Tag; Pharmakodynamik: v.a. Blockade von Dopamin-D2-, Serotonin-5HT2A-, Histamin-H1-, adrenergen α1- und muskarinischen Acetylcholinrezeptoren) wird über ein speziell von Alexza entwickeltes Staccato-System (wärmevermittelte Freisetzung eines Arzneimittelaerosols) appliziert. Es steht in Deutschland in der Dosis von 10mg, entsprechend einer Freisetzung von 9,4 mg inhalativ wirksamer Loxapindosis zur Verfügung.
Wirkung
Die beruhigend-sedierende Wirkung von Adasuve tritt durch die inhalative Applikation nach den vorliegenden Studiendaten sehr rasch ein, d.h. innerhalb von 10 Minuten nach Inhalation. Wirkungseintritt und Wirkungsmaximum (maximale Plasmakonzentrationen bereits nach 2 Minuten) sind damit einer intravenösen Injektion vergleichbar (Spyker et al. 2010).
Zur Zulassung von Adasuve wurden zwei doppelblinde, placebokontrollierte Studien bei agitierten Patienten mit Schizophrenien (n=344) (Lesem et al., 2011) bzw. mit Bipolar-I-Störung (manische oder gemischte Episode) (n=314) (Kwentus et al., 2012) vorgelegt, in denen sich dosisabhängige positive Effekte von Adasuve gegenüber Placebo auf die Agitiertheit/Erregung in einem Zeitraum zwischen 10min und mindestens 2h konsistent zeigten. Der Rückgang der Erregung (PANSS-Subskala) betrug unter Adasuve im Mittel nach 2 Stunden zwischen 30 und 50%, unter Placebo weniger als 30%. Eine weitere Publikation einer placebo-kontrollierten Studie (n=129 Pat. mit Schizophrenie oder schizoaffektiver Störung) (Allen et al. 2011) bestätigte die Befunde.
Anwendung
Adasuve ist als Fertigprodukt (Inhalator mit Mundstück und Lasche) in einem versiegelten Beutel verpackt und muss bis unmittelbar vor der Anwendung in dem Beutel bleiben. Zur Aktivierung des Inhalators muss eine Lasche entfernt werden; dann leuchtet zur Anzeige der Aktivierung ein grünes Licht am Inhalator auf. Die Anwendung muss innerhalb von 15 Minuten nach dem Herausziehen der Lasche erfolgen, ansonsten wird der Inhalator deaktiviert. Nach tiefem Ausatmen mit Abstand zum Inhalator wird Adasuve vom Patienten über das am Inhalator angebrachte Mundstück mit einem gleichmäßigen tiefen Atemzug eingeatmet. Nach Abschluss der Inhalation nimmt der Patient das Mundstück aus dem Mund und hält kurz den Atem an. Wenn das grüne Licht erlischt, wurde das Arzneimittel abgegeben, wenn das grüne Licht nicht erlischt, kann der Vorgang innerhalb von 2-3 Minuten wiederholt werden. Die Außenseite des Gehäuses kann sich während der Inhalation erwärmen.
Dosierung – klinisches Vorgehen
Die Verabreichung darf nur im Krankenhaus unter Aufsicht von medizinischem Personal erfolgen. Wegen möglicher Bronchospasmen, die unter Inhalation von Adasuve auftreten können, gelten diesbezügliche Kontraindikationen (z.B. Asthma bronchiale, COPD), und muss ein rasch wirksames ß2-Sympathomimetikum zur Bronchodilatation bei der Behandlung mit Adasuve einsetzbar verfügbar sein. Die empfohlene Anfangsdosis von Adasuve beträgt 9,1mg. Falls erforderlich, kann nach 2 Stunden eine zweite Dosis angewendet werden; es dürfen nicht mehr als zwei Dosen angewendet werden. Die niedrigere Dosis (4,5 mg) kann angewendet werden, wenn die Dosis von 9,1mg zuvor vom Patienten nicht vertragen wurde oder wenn der Arzt eine niedrigere Dosis für angemessener hält. Der Patient muss nach jeder Dosis 1 Stunde lang auf Anzeichen oder Symptome von Bronchospasmus (z.B. Kurzatmigkeit, Atemmot) überwacht werden. So rasch wie möglich sollen die Patienten eine übliche antipsychotische Behandlung (Standardtherapie) erhalten.
Risiken und unerwünschte Wirkungen
Die Sicherheit und Wirksamkeit von Adasuve bei Patienten unter 18 Jahren oder über 65 Jahren sowie bei Leber- oder Nierenfunktionsstörungen ist nicht belegt (keine Daten). Insbesondere ist Adasuve nicht für die Behandlung von Patienten mit Demenz-assoziierter Psychose indiziert. Adasuve wird zudem nicht für Patienten mit bekannten kardiovaskulären (einschließlich QT-Verlängerungen) oder zerebrovaskulären Erkrankungen empfohlen, Vorsicht ist auch bei Patienten mit bekannten Anfallsleiden angezeigt. Klinisch relevante QT-Verlängerungen scheinen mit einer Einzeldosis von Adasuve nicht im Zusammenhang zu stehen, dennoch ist Vorsicht bei der Kombination mit anderen QT-verlängernden Substanzen geboten.
Die Nebenwirkungen von Loxapin lassen sich aus der Pharmakodynamik (s. oben) ableiten und entsprechen im Wesentlichen denen anderer niedrig- bis mittelpotenter Antipsychotika (v.a. adrenolytische und anticholinerge Wirkungen). Hinzu kommt das Risiko für Nebenwirkungen durch die inhalative Applikation. In Studien an agitierten Patienten wurden Bronchospasmen als eine gelegentliche schwere Nebenwirkung berichtet. Bei Patienten mit aktiven Atemwegserkrankungen wurden sie dahingegen sehr häufig berichtet (meist innerhalb von 25 min) und erforderten oft eine Behandlung. Kontraindikationen sind daher neben Asthma bronchiale und chronisch-obstruktiven Lungenerkrankungen auch akute klinische Symptome wie Keuchen und Kurzatmigkeit.
Sehr häufige während der Anwendung mit Adasuve berichtete Nebenwirkungen waren Dysgeusie (Geschmacksstörungen), Sedierung oder Somnolenz (Schläfrigkeit) und Schwindel. In den Zulassungsstudien waren die gegenüber Placebo häufiger berichteten Nebenwirkungen v.a. vorübergehende Geschmacksstörungen (Dysgeusie) bei etwa 5-15% der Patienten, ansonsten ergab sich – ohne klare Dosisabhängigkeit – eine mit Placebo vergleichbare Kurzzeitverträglichkeit (weniger häufig Schwindel und Kopfschmerzen).
Wechselwirkungen
Vorsicht bei Patienten mit beeinträchtigter Atemfunktion, z.B. bei hypovigilanten Patienten unter Einfluss von Alkohol oder anderen zentral dämpfenden Substanzen (u.a. Anxiolytika, Hypnotika, Antipsychotika, Opiate).
Loxapin wird extensiv hepatisch metabolisiert; Studien zur Erfassung von Wechselwirkungen wurden nicht durchgeführt. Die terminale Eliminationshalbwertzeit (t½) liegt bei 6-8 Stunden. In-vitro-Studien deuten darauf hin, dass Loxapin das P-Glykoprotein (P-GP) hemmt, Wechselwirkungen sind bei der inhalativen Anwendung jedoch nicht zu erwarten. Loxapin ist ein Substrat für flavinhaltige Monooxygenasen (FMO) sowie für einige CYP450-Isoenzyme, insbesondere die gleichzeitige Anwendung von CYP1A2-Hemmern (z.B. Fluvoxamin, Ciprofloxacin, Propranolol oder Refecoxib) sollte vermieden werden. Eine generelle Dosisanpassung bei Rauchern ist nicht notwendig.
Bewertung
Es wird vom Hersteller und teilweise auch von der Zulassungsbehörde erwartet, dass die erste zugelassene inhalative Therapie für die schnelle Beherrschung leichter bis mittelschwerer Agitation bei erwachsenen Patienten mit Schizophrenie oder bipolarer Störung, die bezüglich einer Therapie, die nicht injiziert werden muss, kooperativ sind, eine wichtige Behandlungsalternative wird.
Eine erwünschte sedierende Wirkung scheint in der Regel innerhalb von etwa 10 min nach Inhalation mit recht hoher Sicherheit einzutreten. Die meisten Nebenwirkungen von Loxapin dürften denen anderer Antipsychotika vergleichbar sein. Das potenzielle Risiko von Bronchospasmen wird als kontrollierbar erachtet; diesem werde durch Maßnahmen zur Risikominimierung adäquat entgegengewirkt. Die Zulassungsbehörde gelangte zu dem Schluss, dass der Nutzen von Adasuve gegenüber den Risiken überwiegt. Neben der Beachtung der Indikationen und Kontraindikationen sowie der notwendigen Überwachungs- und Dosierungsvorgaben (s. oben) muss sichergestellt werden, dass medizinisches Fachpersonal, das erwartungsgemäß Adasuve verabreichen wird, wichtige Informationen zu Anwendung und Sicherheitsvorkehrungen erhält.
Prinzipiell ist die Erweiterung der Möglichkeiten zur raschen, nicht-invasiven Behandlung von Erregungszuständen bei Patienten mit Schizophrenie oder Manie positiv zu werten. Ob sich Adasuve in der klinischen Praxis umfassend durchsetzen und die relativ hohen Kosten (USA ca. 75$, Europa ca. 70€ pro Anwendung) rechtfertigen kann, hängt sicherlich vor allem von der Praktikabilität und den Erfahrungen von Wirkung und Sicherheit des inhalativen Loxapins in der klinischen Routine ab.
Literatur
Allen MH, Feifel D, Lesem MD, Zimbroff DL, Ross R, Munzar P, Spyker DA, Cassella JV. Efficacy and safety of loxapine for inhalation in the treatment of agitation in patients with schizophrenia: a randomized, double-blind, placebo-controlled trial. J Clin Psychiatry. 2011 ; 72: 1313-21.
Kwentus J, Riesenberg RA, Marandi M, Manning RA, Allen MH, Fishman RS, Spyker DA, Kehne JH and Cassella JV. Rapid acute treatment of agitation in patients with bipolar I disorder: a multicenter, randomized, placebo-controlled clinical trial with inhaled loxapine. Bipolar Disord. 2012; 14: 31-40.
Lesem MD, Tran-Johnson TK, Riesenberg RA, Feifel D, Allen MH, Fishman R, Spyker DA, Kehne JH and Cassella JV. Rapid acute treatment of agitation in individuals with schizophrenia: multicentre, randomised, placebo-controlled study of inhaled loxapine. Br J Psychiatry. 2011; 198: 51-8.
Spyker DA, Munzar P, Cassella JV. Pharmacokinetics of loxapine following inhalation of a thermally generated aerosol in healthy volunteers. J Clin Pharmacol. 2010; 50: 169-79.
http://www.ema.europa.eu/docs/de_DE/document_library/EPAR_-_Product_Information/human/002400/WC500139409.pdf
(download am 03.07.2013)
http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/medicines/landing/epar_search.jsp&mid=WC0b01ac058001d125
(download am 03.07.2013)
Matthias J. Müller, Gießen und Marburg